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Erschießung französischer Widerstandskämpfer

Von Stadtwiki

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Gedenkstein an der Buswendeschleife
Christel Augenstein während ihrer Rede bei der Veranstaltung im Audimax der FH Pforzheim
Schüler der Osterfeld-Realschule bei der Präsentation der Biografien der Ermordeten
Pfarrer i.R. Hans Ade - Augenzeuge der Exhumierung - an einem Bombentrichter im Hagenschieß in der Nähe des "Tatorts"

Die Erschießung französischer Widerstandskämpfer im Hagenschießwald bei Pforzheim am 30. November 1944 geschah gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. 25 von 26 im Pforzheimer Gefängnis inhaftierte Mitglieder der Widerstandsgruppe Réseau Alliance fielen ihr zum Opfer. Der Vorgang wäre bei einer juristischen Aufarbeitung mit größter Wahrscheinlichkeit als Kriegsverbrechen eingestuft worden; dazu kam es aber nicht, da die Haupttäter wegen anderer Verbrechen hingerichtet wurden.

Inhaltsverzeichnis

Réseau Alliance

Réseau Alliance war eine über 3.000 Mitglieder umfassende französische Widerstandsgruppe, die sich gegen die Besatzung ihrer Heimat durch das nationalsozialistische Deutschland wandte.

Haupttätigkeiten waren das Auskundschaften von geheimen Rüstungsfabriken in Deutschland, darunter auch in Peenemünde, und von Abschussrampen für V1- und V2-Raketen sowie die Übermittlung von Nachrichten über Truppenbewegungen der Wehrmacht, über Fahrten von Versorgungsschiffen und U-Booten an die Alliierten. Mitglieder der Réseau Alliance stellten falsche Papiere her für politisch Verfolgte oder Juden zur Fluchthilfe oder zum Untertauchen in der Illegalität, halfen Gefährdeten über die Grenzen und unterstützten Familien von Verfolgten oder Inhaftierten. Die Organisation hatte auch Beziehungen zu den Offizieren um Stauffenberg, wusste von den Vorbereitungen des Attentats auf Hitler und konnte Nachrichten über den Kriegsverlauf im Osten an die Westalliierten übermitteln. Wegen ihrer nachrichtendienstlichen Verbindungen zu den Alliierten galt sie den Nazis als gefährlichste Widerstandsgruppe.

Inhaftierungen in elsässischen Lagern und badischen Gefängnissen

Nach ersten Verhaftungen wurden Mitglieder von Réseau Alliance ab Juni 1943 im Sicherungslager Schirmeck im Elsass eingesperrt, im Block 10 – Terroristen vorbehalten - getrennt von den übrigen Häftlingen, gekennzeichnet durch einen gelben Querstreifen auf der Kleidung, an Rücken und Oberschenkel die Buchstaben "NN" für "NN-Häftlinge", festgenommen bei „Nacht und Nebel". Für sie wie für über 7000 weitere NS-Gegner galt der ausdrückliche Befehl von General Keitel vom Oberkommando der Wehrmacht vom 12. Dezember 1941, ihre „Vernichtungsspur zu verwischen“.

Die KZ-Aufseher zwangen sie mit Schlägen zu den härtesten Arbeiten und verboten, die Kranken und Schwachen ins Krankenrevier zu bringen. Sie durften die Baracke, „Bunker“ oder „Kerker“ genannt, nicht verlassen, die Strafen waren Nahrungsentzug bis zu drei Wochen, bei Verhören gab es sadistische Misshandlungen: Nach einem Monat waren von den ursprünglich 180 französischen NN-Häftlingen noch 70 am Leben. Im Lauf der Jahre 1943 und 1944 verschleppte die Gestapo weitere Mitglieder von Réseau Alliance aus ganz Frankreich in das Lager Schirmeck und in Gefängnisse in Baden, je nachdem, wo Platz war.

Die Inhaftierten sollten vor deutschen Gerichten in Scheinverfahren zum Tod verurteilt werden, wozu es jedoch aufgrund des Kriegsverlaufs nicht mehr kam. Angesichts der näher rückenden alliierten Truppen wurden zunächst die noch 108 in Schirmeck inhaftierten Réseau-Alliance-Mitglieder am 1. und 2. September 1944 in das elsässische Konzentrationslager Struthof gebracht und dort bis zum 4. September durch Genickschuss getötet.

Die "Blutwoche im Schwarzwald"

Die noch über sechzig Mitglieder von Réseau Alliance, die in sieben verschiedenen badischen Gefängnissen festgehalten wurden, wurden im November 1944 durch ein Mordkommando der SS beseitigt. Anführer dieser Aktion war der aus Tiefenbronn stammende SS-Obersturmführer Julius Gehrum, Chef der Straßburger Gestapo und der Gegenspionage der Wehrmacht, also "zuständig" für die Mitglieder von Réseau Alliance, der wichtigsten Anti-Nazi-Spionagegruppe in Frankreich.

Genau am Tag der Befreiung Straßburgs, am 23. November 1944, startete – in Kehl beginnend – Gehrum mit jeweils zwei bis vier „Helfern“ seine mörderische Tour, um die noch lebenden Mitglieder von Réseau Alliance auszulöschen: Das Muster war überall gleich: Der SS-Mann verlangte die Herausgabe von Gefangenen wie bei den neun Morden in Kehl, den zwölf in Rastatt, vier in Offenburg, drei in Freiburg, acht in Bühl und dann am 30. November 1944 den 25 Morden in Pforzheim durch die Verbrecher Gehrum, Brunner, Buchner, Howold (Rowoldt?) und Irion.

Die Vorgänge am 30. November 1944 in Pforzheim

Am 30. November 1944, morgens um fünf Uhr, wurden die 26 Gefangenen von Réseau Alliance im Pforzheimer Gefängnis geweckt und unter dem Vorwand, sie sollten entlassen werden, angewiesen, ihr Gepäck zu richten. Im Gefangenenbuch ist vermerkt, dass ihnen jeweils noch 10 Mark zur angeblichen Entlassung ausgehändigt wurde. Die Gefangene Yolande Lagrave blieb auf Anweisung des Chefs des Wachpersonals jedoch im Gefängnis zurück, die Gründe dafür sind unklar.

Mit Lastwagen wurden die acht Frauen und 17 Männer dann an den über Pforzheim gelegenen Rand des Hagenschießes gefahren und mit vorgehaltener Waffe zu einem Bombentrichter an der Tiefenbronner Straße getrieben. Julius Gehrum, der Anführer des Mordkommandos, war ortskundig und wusste vermutlich auch von dem Bombentrichter.

Am Rand des Trichters wurden die Gefangenen durch Genickschüsse getötet. Der Arzt Monoff schildert in seinem Bericht über die spätere Exhumierung:

"Die Nazis hatten davor schon acht der Gefangenen fürchterlich gefoltert: Gebrochene Rippen, zerschlagene Beine, zerschmetterte Kiefer, ausgerissene Augen, so sah die unheilvolle Bilanz der Autopsie aus […] Zwei Menschen/Männern gelang während der Schlächterei die Flucht. Einer von ihnen wurde niedergestreckt durch einen Schuss in den Kopf, der zweite wurde verfolgt, wieder festgehalten und zusammengeschlagen. Die Nazis brachen ihm die Wirbelsäule an mehreren Stellen, am Ende zermalmten sie seinen Kopf mit Stößen mit Gewehrkolben."

Eines der Opfer starb nach dem Bericht, der bei der Exhumierung angefertigt wurde, nicht durch den Schuss, ein anderes Opfer weiblichen Geschlechts hatte beträchtliche Verletzungen im Anus erlitten. Mindestens ein Teil dieser Misshandlungen wurde den Opfern wahrscheinlich nicht erst durch das Mordkommando, sondern bereits während der Haft im Pforzheimer Gefängnis zugefügt.

Die im Bombentrichter liegenden Leichen wurden notdürftig mit Erde und Gestrüpp zugescharrt. Julius Gehrum bezeichnete später seine Taten und seine Verantwortung als "die systematische Zerstörung der Organisation Alliance auf höheren Befehl, dem ich als gehorsamer Beamter gehorchen musste". Der Befehl kam von Sturmbannführer SS Dr. Helmut Schlierbach, Leiter der Gestapo in Straßburg, und dessen Vorgesetzten, Sturmbannführer SS Dr. Erich Isselhorst, Befehlshaber des SD und der Sicherheitspolizei Südwest in Straßburg.

Aus Briefen der Überlebenden Yolande Lagrave

Yolande Lagrave überlebte als einziges der in Pforzheim inhaftierten Réseau-Alliance-Mitglieder. Sie schrieb am 16. Juli 1945 an Frau Gillet, die Schwester der am 30. November 1944 in Pforzheim ermordeten Widerstandskämpferin Marie Gillet:

"Madame,

ich kannte Fräulein Simottel und Frau Gillet seit unserer Abfahrt aus dem Gefängnis in Fresnes, sie waren voller Mut und Zuversicht... wir haben oft zusammen gebetet, Fräulein Simottel hoffte immer auf den Beistand der Heiligen Jungfrau, sie betete den Rosenkranz, wir richteten jeden Abend ein Gebet an Maria, sie möge uns beschützen. Sie sind nun tot, großartige französische Bürgerinnen und Märtyrerinnen – dieses entsetzliche Ende hat mich überaus bestürzt, ich höre nicht auf daran zu denken, ich bekomme diesen Alptraum nicht aus dem Kopf, der für meine Leidensgenossen so tragisch endete.

Am 24. Januar 1944 sind wir aus Fresnes [Anm.: Gefängnis Paris-Nord] weggefahren, ich erinnere mich, das war ein Montagmorgen. In den riesigen Gängen des Gefängnisses wurden wir nebeneinander in einer langen Reihe aufgestellt, es herrschte Sprechverbot, wir gingen zu den Waschräumen zu einer dilettantischen medizinischen Untersuchung. Hier habe ich Frau Gillet gesehen mit ihrem großen blauen Krankenschwestern-Umhang und Fräulein Simottel mit einem schwarzen Mantel. Wir sind dann jeweils zwei in eine Zelle gekommen. Ich fand mich wieder mit Fräulein Simottel, die versuchte, eine Brosche zu verstecken, eine Kamee, ich erinnere mich genau, ein Schmuckstück, an dem ihr viel lag. Dann sind wir die unendlichen Gänge des Gefängnisses entlanggegangen – Fresnes! Wir stiegen hinauf, wieder hinunter, wieder hinauf, warteten vor einem Büro, man gab uns unsere Sachen und auf dem Hof erwarteten uns Zellenlastwagen für den Transport. Je zwei in einem „Abteil“, ohne Licht und frische Luft durchquerten wir Paris und befanden uns dann am Gare de l’Est.

Der Zug fuhr am Abend ab, wir sind die ganze Nacht gefahren und um sieben Uhr am Morgen waren wir in Straßburg. Eine Gruppe der Gestapo führte uns ab und in einer ihrer Verwaltungszentralen, einem herrlichen Gebäude (Anm.: das der jüdischen Gemeinde in der Rue Sellenick Nr. 11, 1940 von der Gestapo beschlagnahmt) warteten wir auf ein Zeichen: Was machen wir hier? Wohin gehen wir? Jede war mit sich selbst beschäftigt.

Endlich um neun Uhr (abends) nahmen uns wieder Lastwagen auf und brachten uns an einen unbekannten Ort, von dem wir erst später wussten, dass es Pforzheim war!

Wir waren nun am 25. Januar in Deutschland – zuerst kamen Fräulein Simottel und Frau Gillet in eine Zelle, dann fehlte es an Zellen, so sperrte man sie mit Frau Premel und Frau Le Bacquet, Mutter und Tochter, zusammen. Auf diese Weise befanden sie sich neben mir, Zelle 11 und meine Zelle 12 – wir verständigten uns durch Klopfzeichen an der Mauer. In den ersten Tagen ging Frau Gillet ans Zellenfenster, weil sie sehr überrascht war, Männer beim Hofgang zu sehen, sie wollte wissen, ob ihr Mann und ihr Schwiegervater sich auch darunter befänden. Immer wieder hat sie nachgeschaut, hat sie aber nie gesehen, da sie nicht im Gefängnis in Pforzheim waren (Anm.: sie wurden am 1. September im KZ Struthof ermordet). Das beunruhigte sie sehr, wo waren sie? Sie dachte auch an ihre kleine Tochter, die sie hatte zurücklassen müssen, armes kleines Kind, das nun ohne Eltern war!! – Das Essen war entsetzlich wenig, wir aßen, weil wir durchhalten wollten, wertlose Suppe, Steckrüben, verfaulte Erbsen, schimmeliges Brot, einmal in der Woche ein Stückchen Margarine und Wasser... Wasser... wir „aßen“ Wasser, unsere Mägen wurden auf eine harte Probe gestellt, weil sie nichts bei sich behalten konnten. Unsere Mägen wiesen alles zurück, was wir aufnahmen, zumindest bei einer Kameradin und mir, und unsere Eingeweide machten uns krank... Unsere Beschäftigung war nicht schwer, wir arbeiteten viel, das schützte uns davor, all zu sehr nachzudenken, weil trotz allem die Zeit sich unendlich hinzog!

Liebe Madame, wir haben gelitten, sie waren manchmal hart, wir wurden manchmal terrorisiert, an anderen Tagen war es ruhig, wir sangen Volkslieder, Kirchenlieder, wir befürchteten das „Ende“, das geschehen würde, wenn man sich verloren glaubt."

Am 20. Juni 1945 schreibt Frau Lagrave an die Tochter der ermordeten Suzanne Chireix über den 30. November 1944:

"Es war am Morgen um fünf Uhr, als der Chef des Wachpersonals in unsere Zelle gekommen ist; wir schliefen, wir sind plötzlich aufgewacht und er sagte uns auf deutsch: ‚Schnell, schnell, ihr werdet weggehen, richtet euer Gepäck !’ Noch im Halbschlaf fragten wir uns, was nun geschehen würde, und wir fünf, Suzanne, Rosy, die kleine Belgierin, die deutsch sprach, Französin nach ihrer Heirat, Clara Machtou aus Brest, 26 Jahre alt, Alice Coudol, 21 Jahre alt und aus Brest und ich, wir bereiteten uns vor, zitternd und in Eile, und sofort warnten wir unsere Gefährten von der Nachbar-Zelle, was geschehen war... Suzanne sagte mir: ‚Wir werden heute hinausgehen, um das Fest des Heiligen Andreas zu feiern, erinnern wir uns doch an diesen Tag’ (Anm.: in katholischen Regionen findet in dieser Nacht ein Umzug statt). Dann, kurz danach, als der Chef des Wachpersonals zurückgekehrt war, erklärte er: ‚Lagrave geht nicht hinaus, Sie bleiben hier ’... Warum ich geblieben bin? Ich weiß das ganz einfach nicht..."

Am Ende des Briefes an die Schwester von Marie Gillet schreibt Yolande Lagrave:

"Nun, sie wurden Opfer dieses befürchteten Endes – ohne dieses alles, trotz des Wartens, trotz der schlechten Nahrung, trotz unseres Elends haben wir daran festgehalten, dass wir Frankreich wiedersehen wollen, unser Vaterland, unsere Heimat, unsere Freunde, all das, was uns lieb und teuer war. Yolande Lagrave"

Französische Reaktion

Nach der Besetzung Pforzheims durch französische Truppen im Frühjahr 1945 ließen diese Ende Mai die Toten exhumieren. Ihren ersten Plan, als Vergeltung 25 Pforzheimer Bürger erschießen zu lassen, konnte der kommissarische Oberbürgermeister Wilhelm Becker durch couragiertes Auftreten abwenden. Die Pforzheimer Bevölkerung wurde per Plakatanschlag aufgefordert, am Samstag, dem 26. Mai, das Massengrab persönlich in Augenschein zu nehmen und am Sonntag, dem 27. Mai, an der militärischen Beisetzungsfeier vor dem Hauptfriedhof teilzunehmen. Im Jahr 1947 wurden die Toten nach Frankreich überführt.[1]

Gedenken

Am 25. Januar 2008 wurde bei der Omnibuswendeschleife an der Haltestelle Hochschule der Buslinie 5, am Waldrand nahe dem Ort des damaligen Geschehens, ein Gedenkstein zum Andenken an das Schicksal der französischen Widerstandskämpfer eingeweiht. Der Stein trägt die Bilder und die Namen der Ermordeten, die Inschrift lautet:

Zum Gedenken
Am 30. November 1944 wurden im Hagenschieß 25 Mitglieder der französischen Widerstandsgruppe "Réseau Alliance" von der Gestapo durch Genickschuss umgebracht und in einem Bombentrichter verscharrt. Es handelt sich um 7 Frauen und 18 Männer im Alter von 21 bis 68 Jahren, Menschen, denen der Kampf für Freiheit, Gleichstellung und Frieden mehr bedeutete als das Leben. Ihr Leiden führte mit zur Entstehung eines erneuerten Europas und mahnt uns zum Weg der Versöhnung und zum Frieden.

Opfer

Die Namen der Ermordeten:

Suzanne Chireix, Alice Coudol, Pierre Dayné, Raymond Descat, Marcel Dufosset, Jean Eozenou, Marcel Fontenaille, Marie Gillet, Félix Jacquet, René Jamault, Georges Lacroix, Marie-Jeanne Le Bacquet, Clara Machtou, Henry Marano, Francois Marty, Paul Masson, Jean Mathé, Augustin Parrot, Louis Payen, Marguerite Premel, René Premel, Amélie Simottel, André Sondaz, Rosa Storck und Louis Viret.

Quellen

Einzelnachweise

  1. Pforzheimer Zeitung vom 19. Januar 2008, S. 28

Weblinks

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